Saturday, April 30, 2016

Was Wladimir Putin in Syrien wirklich vorhat


Über den dramatischen Appell des UN-Sondergesandten dürfte man in Moskau nur schmunzeln. Denn die Erosion des Waffenstillstandes ist ganz im Sinn der russischen Syrien-Strategie.

Russland ist sichtlich stolz auf seinen Einsatz in Syrien. In der Lobby des Moskauer Hotels "Ukraine" sind zur Begrüßung der Gäste der Moskauer Internationalen Sicherheitskonferenz Fotos aus Syrien ausgestellt: Russische Minenräumer in Palmyra, Syrer schwenken russische Fahnen und halten Porträts von Putin und Assad hoch, russische Militärflieger im Einsatz. Die gleichen Bilder werden auf die Leinwand projiziert, vor der die russische Sicherheitselite ihre Reden vorträgt. 

Verteidigungsminister Sergej Schojgu beginnt ausnahmsweise nicht mit Vorwürfen gegen den Westen, sondern mit dem Aufruf zum gemeinsamen Kampf gegen den Terrorismus. "Wir bewerten unsere Zusammenarbeit mit den USA in Syrien insgesamt positiv", sagt Schojgu. Die Koordination zwischen den Militärapparaten beider Länder, die für die Versöhnung der Seiten verantwortlich sei, werde fortgeführt.

In den USA wird die Lage ganz anders bewertet. Dort wächst die Furcht, dass die gemeinsam mit Russland ausgehandelte Feuerpause für die syrischen Bürgerkriegsparteien nach zwei Monaten demnächst scheitern könnte. Oppositionsaktivisten melden, das syrische Regime habe seine Truppen im Norden des Landes vor Aleppo mobilisiert. Dort gehen die Kämpfe weiter, als habe nie jemand eine Feuerpause auch nur erwähnt. Seit Freitag sollen laut Aktivisten mehr als hundert Menschen in Aleppo ums Leben gekommen sein.

Schon vergangene Woche erzählte US-Verteidigungsminister John Kerry im Interview mit der "New York Times" besorgt, dass Russlands schwere Artillerie zu den Kampfstellungen bei Aleppo verlegt werde. Er wies zwar darauf hin, dass auch der Al-Qaida-Ableger Nusra-Front, der von der Feuerpause ausgeschlossen ist, in der Region um Aleppo aktiv ist. Allerdings sind dort auch oppositionelle Gruppen vertreten, die der Einstellung von Feindseligkeiten zugestimmt haben. Ob die syrische Armee so genau zwischen den Gruppen trennen will, ist zu bezweifeln. Die Einnahme von Aleppo wäre jedenfalls ein wichtiger Sieg für das Regime.

Der UN-Sondergesandte Staffan de Mistura forderte von den USA und Russland eine Wiederbelebung der Waffenruhe in Syrien. Eine dringliche Initiative auf höchster Ebene sei nötig, sagte er nun. Davon hänge auch die Zukunft der Friedensgespräche in Genf ab. "Wie kann man substanzielle Gespräche führen, wenn es nur Nachrichten über Bomben und Artilleriebeschuss gibt?", fragte de Mistura.

Vor mehr als einem Monat hatte Russland einen Teilabzug seiner Truppen aus Syrien angekündigt. Die Operation wurde für beendet erklärt, russische Piloten vor Kameras des russischen Staatsfernsehens als Helden empfangen. Allerdings bleiben Moskaus Militärflugzeuge der Typen Su-24 und Su-25 weiter vor Ort und fliegen Luftangriffe, wenn auch etwas weniger häufig. Zudem hat Russland neue Kampfhubschrauber nach Syrien verlegt. Artillerie und Spezialeinheiten sind nach wie vor im Land. An der Rückeroberung von Palmyra aus der Gewalt der Terrormiliz Islamischer Staat waren sie aktiv beteiligt, wie auch russische Kämpfer einer privaten Sicherheitsfirma.

Moskauer Sicherheitsfachleute schätzen, dass die russische Militärpräsenz in Syrien mit dem Niveau von Herbst 2015 vergleichbar ist. "Die Erklärung über den Teilabzug war nur ein rhetorisches Mittel, um die russische Bevölkerung zu beruhigen", sagt Außenpolitik-Experte Wladimir Frolow. Alexander Golts, Gastforscher an der Universität Uppsala in Schweden, glaubt, dass der Rückzug auch erklärt wurde, um Baschar al-Assad klarzumachen, dass Moskau ganz Syrien mit ihm gemeinsam zurückerobern will. "Das würde bedeuten, dass Russland in einen langen, schwierigen Krieg hineingezogen würde, im schlimmsten Fall könnte es zu einem direkten Zusammenstoß mit der Türkei führen", sagt er.

Putin würde Assad nie freiwillig opfern

Mittelfristig hat Putin von seiner Syrien-Operation profitiert: Die USA brauchen ihn wieder am Verhandlungstisch, von internationaler Isolation redet niemand mehr. Doch ob es in Moskau auch einen langfristigen Plan für die Zukunft Syriens gibt, ist unklar. Bei den Friedensgesprächen zeigt sich Moskau jedenfalls weder willens noch in der Lage, Assad zu mehr Kompromissen zu bewegen. "Russland hat eine Taktik von Scheinverhandlungen entwickelt, bei denen eine gemeinsame Regierung mit der loyalen Opposition entstehen soll", glaubt Frolow. "Wenn das als Ergebnis präsentiert würde, wäre damit die Fortsetzung des Krieges gesichert."

Die Differenzen zwischen Russland und den USA offenbaren sich vor allem, wo es um die Zukunft von Assad geht. Verteidigungsminister Schojgu sagte an Mittwoch, Moskau höre oft von westlichen Partnern, der Krieg in Syrien werde beendet, wenn Assad gehe. "An solch guten Absichten glauben wir kaum", sagte Schojgu und erinnerte an den Irak und Libyen.

Russland sei weniger die Person Assad wichtig als die Tatsache, dass er nicht infolge einer "Farbrevolution" abgesetzt werde, glaubt Alexander Golts – also durch eine zunächst friedliche, vom Westen unterstützte Volkserhebung wie die Orangene Revolution in der Ukraine 2004 oder die Rosenrevolution 2003 in Georgien. "Der Kampf gegen Farbrevolutionen ist für Moskau prinzipiell sehr wichtig", sagt Golts.

"Wenn es gelingt, Assad abzusetzen, könnte nach Moskauer Logik in Russland bald etwas Ähnliches passieren." Der russische Generalstabschef Gerassimow beschrieb auf der Sicherheitskonferenz in Moskau auch die Ereignisse in Syrien als eine Farbrevolution, die zu einem Krieg geführt habe. Dem Thema wurde eine ganze Diskussion gewidmet, bei der sich russische Generäle darauf einigten, dass Farbrevolutionen im Grund ein Kriegsmittel gegen ein Land seien und deshalb grundsätzlich von der Armee bekämpft werden müssten.

Auch in westlichen Beobachterkreisen heißt es, Moskau hänge nicht an der Person Assad. Doch Putin prüft in seiner Politik ständig, wie weit er gehen kann. Wenn er Assad nicht opfern muss, dann wird er das auch nicht tun. US-Außenminister Kerry ist das wohl bewusst. "Wir werden nicht dasitzen, Putin das Regime unterstützen und auf die Opposition einschlagen lassen und dann sagen: 'Das funktioniert'", sagte er der "New York Times". "Natürlich sind wir nicht dumm in dieser Hinsicht."



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